Impuls zum 23. August 2020
Von Reinhard Haubenthaler, pax christi Diözesanverband München und Freising
Einstieg
Zur rechten Zeit die richtige Frage zu stellen, kann viel in Bewegung bringen. Vor allem, wenn sie persönlich ist
und eine spontane und ehrliche Antwort erwartet.
Das Evangelium des heutigen Sonntags lebt von der Frage, die Jesus seinen Schülern stellt, und von der
mutigen Antwort, die Petrus ihm gibt. Wenn wir das Evangelium nicht als historischen Bericht, sondern als Wort
Gottes an uns sehen, dann heißt das: Auch wir heute sind gefragt. Jede und jeder von uns. Ich selbst bin
gefragt.
Für mich stecken drei Fragen im Evangelium des heutigen Sonntags (aber es stecken sicher noch mehr darin):
- Zunächst und vor allem: Wer ist, was bedeutet Jesus für mich ganz persönlich?
- Dann aber auch: Damit die Bewegung, die in ihm begonnen hat, in seinem Sinne wachsen kann: was
- braucht es dazu heute?
- Und schließlich: Wo liegt da meine ganz persönliche Aufgabe, Berufung, Verantwortung?
Gebet
Unergründlich, immer größer als alles, was wir von Dir ahnen und sagen können, bist Du, Gott,
und dennoch uns nahe in Jesus und mit Deinem Geist.
Von Jesus gerufen, ganz persönlich beim Namen genannt,
und zugleich auch zusammengerufen in eine Gemeinschaft, kommen wir vor Dich.
Du sprichst uns an, nimmst uns in Dienst,
damit Glaube, Hoffnung und Liebe, Gerechtigkeit und Frieden wachsen in dieser Welt.
Wir bitten dich:
Öffne unsere Ohren, Augen und Herzen,
damit wir hören, sehen und verstehen, was Du uns sagen willst,
heute,
da wo wir leben,
und damit wir fähig werden, zu leben in Hoffnung und Vertrauen,
in Liebe, in Freude und in Achtsamkeit
allen Menschen und der ganzen Schöpfung gegenüber. Amen.
Gedanken zum Evangelium
Mt 16, 13 – 20
In jener Zeit, als Jesus in das Gebiet von Cäsarea Philippi kam, fragte er seine Jünger und sprach: Für wen
halten die Menschen den Menschensohn?
Sie sagten: Die einen für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für Jeremia oder sonst einen
Propheten.
Da sagte er zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich?
Simon Petrus antwortete und sprach: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!
Jesus antwortete und sagte zu ihm: Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das
offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Ich aber sage dir: Du bist Petrus – der Fels – und auf diesen Felsen
werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die
Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird im Himmel gebunden sein, und
was du auf Erden lösen wirst, das wird im Himmel gelöst sein.
Dann befahl er den Jüngern, niemandem zu sagen, dass er der Christus sei.
1. „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“
Die Antwort des Petrus damals vor 2000 Jahren einfach nur staunend und respektvoll zur Kenntnis zu nehmen,
ohne sich selbst als gefragt zu empfinden, wäre schade. Ich bin sicher, dass Jesus sich und uns wünscht, dass
wir heute, jede und jeder von uns, eine ganz persönliche Antwort auf seine Frage finden.
Natürlich dürfen wir uns an den Antworten, die damals seine Schüler und dann die Christ*innen der ersten
Jahrhunderte gefunden haben, orientieren und sie als Fundament für unseren Glauben, für unsere Beziehung
zu Jesus, sehen und nutzen. Aber trotzdem scheint es mir entscheidend wichtig, ja unerlässlich, und zugleich
inspirierend und spannend, sich der Frage zu stellen: Wer ist Jesus für mich, für uns heute, für unsere Zeit, für
die Menschheit im 21. Jahrhundert?
Und da darf es auch einen Prozess des Tastens, Suchens und Experimentierens geben.
Die dogmatischen Formulierungen der Kirchengeschichte können dabei eine Orientierung sein. Aber
entscheidend ist dann doch die Antwort, die ich ganz persönlich aufgrund meiner Beziehung zu Jesus, aufgrund
meiner Glaubens- und Lebenserfahrung, aufgrund meiner Lebenssituation, meiner Interessen und meines
persönlichen Engagements finde. In der Geschichte meines Lebens wird sich meine Beziehung zu Jesus und
so auch meine Antwort auf seine Frage verändern und wandeln; da kann es Zeiten der Unsicherheit, Krisen,
auch Brüche, aber auch ein Wachsen, Entwicklung, Vertiefung und Klärung geben.
Der Titel eines Buches des Neutestamentlers Meinrad Limbeck ist mir dazu eingefallen: „Jesus – der Mensch,
der in kein Schema passt“; das kann ein guter Anfang meiner/unserer Suche sein.
Für Teilhard de Chardin mit seinem Blick auf eine evolutive Welt ist Jesus der die Entwicklung bestimmende
Zielpunkt „Omega“ der Evolution, insbesondere der Geschichte der Menschheit. Können wir Jesus als Prototyp
des Menschseins, der Menschwerdung bezeichnen?
Für mich ist vor ein paar Jahren die Formulierung im sogenannten Benedictus, in dem Hymnus, den der
Evangelist Lukas Zacharias, dem Vater Johannes des Täufers, in den Mund legt, zu einer ebenso trostvollen
wie anregenden und hoffnungsvollen Kurzformel des Glaubens geworden, die mir sagt, wer Jesus für mich sein
will: „das aufstrahlende Licht aus der Höhe, das allen leuchtet, die in Finsternis sitzen und im Schatten des
Todes und der unsere Schritte lenkt auf den Weg des Friedens“. Jesus: der Mensch, der uns zu Friedensstiftern
macht; der uns seinen Frieden schenkt; selbst „unser Friede“, wie es im Epheserbrief (Eph 2, 14) heißt.
2. „Du bist Petrus – der Fels – und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen…“
Immer ist es hilfreich, Schriftstellen nicht isoliert, sondern im Gesamtzusammenhang zu betrachten, so auch
hier:
Kurz zuvor (Mt 14, 22-33) berichtet der Evangelist in der bildhaft zu verstehenden Seesturm-Geschichte, wie
Petrus auf dem vom Sturm aufgewühlten See mutig über das Wasser hinweg auf Jesus zugeht, dann aber im
Blick auf die Wellen voller Angst unterzugehen droht, bis Jesus ihm die Hand entgegenstreckt und zu ihm sagt:
„Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ Und unmittelbar nachdem er den Auftrag als „Fels“ bekommt,
wird er von Jesus als „Satan“ zurechtgewiesen, weil er ihn von dessen Bereitschaft, für seine Botschaft in den
Tod zu gehen, abhalten will.
Petrus ist auch nicht der erste und einzige, der erkennt, wie sehr Jesus von Gott durchdrungen „Gottes Sohn“
ist; das hatten schon die Jünger Jesu miteinander bekannt, nachdem der Sturm sich gelegt hatte und Petrus
von Jesus gerettet worden war (Mt 14, 33). Und die Vollmacht des Bindens und Lösens bekommen nach Mt 18,
18 dann auch alle Jünger gemeinsam zugesprochen.
Wir müssen die in unserer Schriftstelle ausgesprochene Bedeutung des Petrus für die frühe Kirche nicht
schmälern. Aber nur, wenn wir sie nicht isolieren, sondern einbinden in die gesamte Geschichte seines Lebens
und in die Gemeinschaft der Schüler und Freunde Jesu wird er zu einer realen Gestalt, die uns etwas zu sagen
hat.
Wir können dann an ihm sehen und im Blick auf ihn staunen, wie Gottes rettendes Entgegenkommen und seine
inspirierende Nähe in unsere Welt hinein wirken, trotz menschlicher Schwäche, Versuchbarkeit und Fehlbarkeit.
Es scheint mir für unser persönliches Leben wie auch für unseren Blick auf die Kirche entscheidend wichtig,
beides in gleicher Weise festzuhalten: Unsere menschliche Schwachheit und Bedingtheit einerseits und Gottes
Zusage und die Präsenz seines Geistes andererseits.
Idealbild einer Erneuerung der Kirche ist dann (so der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer neulich in seinem
Artikel in der „ZEIT“ vom 04. 06. 2020) „keine perfekte Kirche, sondern eine vielstimmige Gemeinschaft“, die
Wertvolles zu bewahren hat und doch dynamisch bleibt.
Wird sich eine Form des „Petrusamtes“ (und des Leitens überhaupt) entwickeln, die weniger monarchisch und
zentralistisch ist, als das über viele Jahrhunderte hindurch der Fall war, und die auch der Tatsache gerecht wird,
dass die Bewegung Jesu heute in 350 Kirchen existiert (gerade in diesen Tagen, ab dem 22. August, tagte im
Jahr 1948 die Gründungsversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen)?
Die besondere Verantwortung von Menschen in leitender Funktion einerseits und die Mitverantwortung und
demokratische Mitsprache aller andererseits: beides in ein gedeihliches Verhältnis zueinander zu setzen, für
beides das richtige Maß zu finden, ist für jede Gemeinschaft eine schwierige Aufgabe – in der Kirche gerade
heute besonders aktuell.
3. „… nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel“.
Das Entscheidende ist nicht unsere Leistung, unser Verdienst, sondern es ist Gabe, Geschenk, göttliche
Inspiration.
Ab und zu dürfen wir – Gott sei Dank! – erleben, wie Menschen sich entwickeln und an Aufgaben und
Herausforderungen – und im Vertrauen auf Gottes Zusage – wachsen, neue Einsichten gewinnen und neue
Verhaltensweisen praktizieren können.
Wenn wir Petrus nicht nur als historische Persönlichkeit sehen, sondern auch als exemplarische Gestalt, mit der
wir uns identifizieren können, wenn also an ihm beispielhaft sichtbar wird, was es heißt, „Jünger(n)“ und
„Schüler(in)“ Jesu zu sein, dann darf und muss ich damit rechnen, dass Gottes Geist auch in meinem Leben
präsent und wirksam ist, dass Jesus auch für mich einen Auftrag hat, und dass auch für mich das Versprechen
seiner Treue gilt.
Der Gründer der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé, Frère Roger, hat gesagt: „Lebe das, was du vom
Evangelium verstanden hast. Und wenn es noch so wenig ist. Aber lebe es.“
Auf dem Hintergrund unseres Evangeliums ist das für mich der Impuls, danach zu suchen, was gerade meine
ganz persönliche Erkenntnis oder Einsicht ist: Was ist die Wahrheit meines Glaubens, die mich besonders
beschäftigt, bewegt, inspiriert? Und dann auch die Ermutigung, zu ihr zu stehen, sie zu leben, für sie zu
kämpfen - auch wenn es Zeiten geben mag, wo es schwerer fällt, als gedacht, auch wenn die Tagesform nicht
immer gleich ist, auch wenn es manches gibt, was mich an mir zweifeln lässt. Denn immer darf ich vertrauen
auf die zwar unverfügbare, aber immer wieder neu entgegenkommende Präsenz des Gottesgeistes.
In diesem Zusammenhang sind mir Dietrich Bonhoeffers „Glaubenssätze über das Walten Gottes in die
Geschichte“ eingefallen, die das Zusammenspiel von Gottes hilfreicher Nähe und Zuwendung einerseits und
menschlichem Handeln in seiner Schwachheit und Fehlbarkeit andererseits so beeindruckend ins Wort fassen:
Glaubensbekenntnis von Dietrich Bonhoeffer
Ich glaube, daß Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht
er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube, daß Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie
nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. …
Ich glaube, daß auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und daß es Gott nicht schwerer ist mit
ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten.
Ich glaube, daß Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern daß er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten
wartet und antwortet.
in: Widerstand und Ergebung, Siebenstern-TB, München 1951, S. 18.
Gebet
Jesus,
Du Mensch, der in kein Schema passt,
Inbegriff des Menschseins,
Lehrmeister des Friedens,
erfahrbare Nähe und Bild des unsichtbaren Gottes,
Diener und Sohn des lebendigen Gottes.
Ergreife mich – in den Stürmen und Wellen des Lebens – immer wieder neu mit deiner Hand
und lass mich zusammen mit all den Schwestern und Brüdern im Glauben
im Boot der Kirche Schüler(in) und Jünger(in) sein, Mitarbeiter(in) im Reich Gottes,
deinen Frieden leben, erleben und wirken. Amen.
Segen
Jesus ist da mit seinem Versprechen „wer sucht, der findet“ in unserem Suchen und Fragen.
Er ist da, mit seiner Verheißung „wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter
ihnen“, wenn wir im Hören auf sein Wort Schritte zum Frieden erkunden und gehen.
Er ist da, mit seiner Zusage „und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen“, wo wir mit Brüdern
und Schwestern im Glauben versuchen, Kirche heute zu leben.
Er stärke, begleite und führe uns und die Menschen, mit denen wir verbunden sind,
und schenke Mut, Kraft und Geistesgegenwart, wo immer wir gefragt sind.
So segne uns der dreieinige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen.
Lieder
GL 362 Jesus Christus, you are my life
GL 365 Meine Hoffnung und meine Freude
GL 456 Herr, du bist mein Leben
GL 474 Wenn wir das Leben teilen